Die Verblendung

Julian schwieg eine Weile und dachte über Claires Worte nach. So hatte er es noch nicht gesehen. Er hatte es eher als ein Eindringen in seine Privatsphäre empfunden. Er wollte keine anderen Stimmen in seinem Kopf hören. Seine war schon genug. Aber vielleicht war dieser Anwärter wirklich einsam. Vielleicht wollte er nur etwas Gesellschaft und was Gutes tun. Julian hatte das nicht empfunden, aber im Grunde hatte der Anwärter ihm nichts getan. Er fühlte sich eben ertappt und beobachtet und das mochte er nicht.
Julian sah kurz zu Hope. Das war vielleicht das erste Mal, dass sie ernsthaft mit ihm Sprach nach all der Zeit. Zuvor hatte sie jegliche Versuche auf ein Gespräch immer abgelehnt. Es verwunderte ihn fast, aber er empfand nichts weiter.
"Nein du hast Recht. Er meldet sich nicht ständig. Mal davon abgesehen, weiß ich ja nicht, ob er mit dir in Kontakt steht. Also woher solltest du das wissen, selbst wenn? Trotzdem du hast recht. Er hat mit mir geredet in Situationen in denen ich wohl nen Rat gebrauchen konnte. Es war mir eben suspekt.", gab Julian ehrlich zu." Vielleicht habe ich mich auch ertappt gefühlt und am Ende hat es mir auch irgendwo geholfen. Aber im dem Moment wollte ich das nicht.", die anderen schienen damit ziemlich entspannt umzugehen, dass einfach jemand über Gedanken mit ihnen kommunizierte. Für Julian war das eine komische Situation gewesen. Als würde jemand in sein tiefstes Eindringen. Er wusste irgendwie alles und er hatte sich ertappt gefühlt, weil er nicht wollte dass jemand alles über ihn wusste. Aber jetzt fühlte er sich nicht mehr so und konnte sich ein bisschen besser akzeptieren.
"Weiß nicht was du meinst. Inwiefern befinden wir uns in einer ähnlichen Situation?" was wusste Hope schon über ihn?
Er wandte sich Claire. "Okay. Ja das ist deine Sache. Meine ja nur. Du kannst reden mit wem du willst."

"Woher ich das weiß? Ganz einfach, ich weiß wesentlich mehr über Medien als du, Julian. Meine Mutter kennt das aktuelle Hauptmedium soghar persönlich und deswegen weiß ich sehr genau, was sie tun und was nicht. Und ein Mediumsanwärter hat sicher Besserees zu tun, als ständig in deinem Kopf zu sein und dir Ratschläge zu geben. Zumal Medien und deren anwärter ganz genau spüren, wer sie ablehnt, also hat dieser anwärter sicher auch deine Ablehnung gespürt. Warum sollte er also dann noch zu dir kommen," fragte Hope ihn offen, die leichte Kritik Julians ignoruierte sie gekonnt.
"Es kann eben nicht jeder dankbar sein, dem geholfen wird, schon klar," sie zuckte mit den Schultern, Julian hatte es im Prinzip selbst zugegeben.
"Du und er, ihr habt beide eure Liebsten verloren, du und er versuchen beide, Anklang bei anderen zu finden und iohr beide erlebt dadurch auch Ablehnung und Zustimmung. Deswegen seid ihr in einer ähnlichen Situation."

"Ich habe ihn ja nicht gebeten zu kommen. Okay. Alles klar. Du weißt Bescheid." Julian war sich sicher dass Hope mehr über alles wusste, als die meisten anderen. Schließlich ging sie sicher immer mit ihrer Mutter mit. Die beiden schienen ein Team zu sein und Nora schien Hope als gleichberechtigte zu behandeln, obwohl sie noch jünger war. Das fand Julian schon cool. Währenddessen sein Onkel ihn immer noch wie zehn behandelte manchmal. Julian erwiderte nichts weiter auf ihren Satz. Er fühlte sich fast schlecht jetzt. Vielleicht war er doch etwas zu abstoßend zum Anwärter gewesen. Vielleicht war es nicht ganz fair.
"Vielleicht...", stimmte er dann schließlich doch zu. Vielleicht waren sie sich schon ähnlich. Dann wusste er was Julian durchmachte.

"Ein Mediu, merkt, wenn jemand, zu dem es schon mal Kontakt hatte, aus dem Gleichgewicht gerissen wird, körperlich oder seelisch. Das ist, als wenn ein Fisch einen Köder sieht, dem er nicht widerstehen kann, wie eine Stimme, die ihn zu sich ruft," erklärte Hope ruhig und Claire nickte, als hätte sie verstanden, was sie gemeint hatte.
"So leren die anwärter, bis sie sich beweisen müssen, um als Obermedium anerkannt zu werden," fügte Claire hinzu, sie wußte nicht, wie genau das ging, da der anwärter dies nicht sahen durfte, aber die Info, die sie hatte, reichte ihr schon aus.

"Oh. Das erklärts wohl." es stimmte dass das Medium oft aufgetaucht war wenn er sich irgendwie verloren fühlte oder ein Problem hatte. Julian hatte sich schon gefragt warum eigentlich und er hatte irgendwie einfach angenommen, dass er sich einmischen wollte. Aber vielleicht hatte er nicht anders gekonnt einfach. Jetzt verstand Julian ihn zumindest etwas besser. Er nickte einsichtig.

"Er hat sich bei dir ja zurückgehalten, er war nur drei oder viermal bei dir, hat er mir gesagt. Und er lernt eben auch aus deinem Verhalten ihm gegenüber, man kann eben nicht immer von allen akzeptiert werden. Er fand deine Reaktionen auf ihn sehr aufschlußreich. Mehr hat er nicht gesagt, vielleicht ja Ann. Sie hat wohl eine andere Ebene mit ihm erreicht alös alle vor uns, aber sie ist ja auch gut im Meditieren und so,2 lächelte Claire. Vielleicht hatte Anns Mentor da auch noch seine hände mit im Spiel, man wußte ja nie.

"Hmm. Okay." Scheinbar hatte er da schon gespürt das Julian da nicht so aufgeschlossen war und die anderen besuchte er öfter. Vielleicht war das auch seine Art Rücksicht zu nehmen. Auch das hatte Julian nicht gewusst. Er war froh dieses Gespräch mit Claire geführt zu haben. Das änderte seine Perspektive ein wenig. Trotzdem fand er nach wie vor, dass seine innersten Gedanken nur ihn was angingen und die Leute mit denen er sie freiwillig teilen wollte.
"Ich glaube Ann hat generell eine andere Ebene erreicht vielleicht..", meinte Julian und sah kurz zu ihr. Sie saß weit weg vom Geschehen.

"Ann hat es von uns am schwersten," Claire folgte kurz Julians Blick.
"Sie ist n Vorbild für so viele Leute und es ist sicher verdammt hart, die Erwartungen da erfüllen zu können. Wenn sie nicht auf ihrer Ebene sein würde, wäre sie vielleicht durch den Druck schon kaputt gegangen," sie seufzte leise, sie war froh, nicht ein so bekanntes Gesicht zu haben wie ann.
"Und sie kann nicht zurückschrauben, weil sie auch genug Konkurrenten hat, die jede Schwäche von ihr ausnutzen, wenn sie die mitbekommen. Ist nicht gerade das schönste Leben, finde ich."

Julian nickte. Er hatte sich schon oft gefragt, ob Ann nicht unter dem ganzen Druck mal explodieren würde oder zumindest zusammenbrach. Und dennoch. Sie bewahrte immer ihre Distanz und ihre Professionalität. Julian hatte sie selten viele Emotionen zeigen sehen und in letzter Zeit war es noch weniger geworden. Aber vielleicht war das ihre Art mit allem umzugehen. All dem Stress und den Erwartungen. Schließlich hatten alle einfach akzeptiert dass sie die beste war. Aber um so was zu halten musste man hart arbeiten auf vielen Ebenen. Julian bewunderte das sehr, aber gleichzeitig machte er sich Sorgen um sie. Auch wenn es ihn nichts anging.
"Du kennst sie wohl noch am besten von uns, nehme ich an. Oder du Hope."

"Wir sind Klassenkameraden, sie hilft mir, was den Sport angeht und daß ich mich weiter fit halte. Viel mehr hab ich nicht mit ihr zu tun, man gleicht mal Hausaufgaben miteinander ab, mehr aber auch nicht," Claire hatte von anfang an akzeptiert, daß Ann keine Freunde machwen wollte, die sich ihr aufdrängten wegen ihrer Bekanntheit. Sie befanden sich da beide auf einer neutralen Ebene, und das war wohl positiv für beide Seiten.
"Ich kenne ihre Eltern besser, Ann hält sich ziemlich von mir fern. Mit mir will sie scheinbar nicht wirklioch viel zu tun haben, außer Claire ist mit dabei. Aber ich will ja auch keine Freundschaft mit ihr, wir kommen miteinander klar, mehr muß ich da nicht erreichen," winkte Hope ab, sie wollte keine Freundschaft mit Mitgliederbn der Jäger, wie sie es auch schon Julian gesagt hatte. Das bezog sich sowohl auf männliche als auch auf weibliche Jäger.

"Für mich klingt das relativ nahe. Oder keine Ahnung. Eine Zweckfreundschaft." Julian zuckte mit den Schultern. Sie wirkten schon so als würden sie miteinander klarkommen. Aber am Ende des Tages war das ihre Entscheidung und ging Julian nichts an. Es war eben sein Eindruck.
" Na ja das ist ja auch deine generelle Devise.", meinte Julian zu Hope. "Aber versteh dich auch. Wir können alle Potenziell abkacken in den nächsten Jahren. Generell können wir das sowieso immer alle, aber bei uns ist es nicht so unwahrscheinlich. Falls wir es überhaupt so weit bringen." er zuckte mit den Schultern.

"Das hat damit wenig zu tun, ich hab durch Nora schon genug mit dem Vampirkram zu tun, da muß ich mich nicht auch noch in meiner Freizeit mit umgeben. Mal ganz davon abgesehen, daß dein Sterberisiko relativ gering ist, was die Vampire angeht. Falls du es am Ende schaffst, bei der Sache mit dem Grafen dabeizusein, wirst du eh nicht wirklich viel von dem Ganzen mitbekommen, weil du weit hinten sein wirst. Du bist erst in Gefahr, wenn unsere Jäger versagen und das wird nicht der Fall sein," meinte Hope bestimmt.
"Und selbst wenn nora stirbt, so wird dir nichts passieren, wenn du da noch am Leben bist und dich ergibst. Zusicherung vom Grafen."

"Vielleicht.". Meinte Julian. "Es ist dir einfach zu viel Jägerkram. Okay." Julian nickte. Das war dann wirklich ihre Entscheidung. Scheinbar wollte sie einfach sonst ein normales Leben führen mit Leuten die nichts mit den Jägern zu tun hatten. Oder zumindest außerhalb der Forschung. Mit Claire schien sie ja jetzt auch befreundet zu sein. Generell war Claire sehr umgänglich. Scheinbar verstanden sich alle mit ihr.
Julian sah kurz Hope an. Er musste nicht sein Leben lassen, wenn es nicht notwendig war. Aber falls es dazu kam, kam es dazu. Tiefer konnte er darüber momentan nicht nachdenken. Er sah wieder aufs Feuer. Nach einer Weile musste er auch gähnen. Er hatte gar nicht gut geschlafen letzte Nacht.

"Ich muß noch meinen Rundgang machen,2 sagte Hope, als sie etwas entfernt von ihnen einen der Jäger sah, der anfing, den Rand des camps zu kontrollieren. Sie erhob sich geschmeidig, nickte den Sitzenden noch mal zu und verschwand dann in der aufkommenden Dunkelheit.
"Ich werd dann auch mal gehen, ich hab noch was zu tun im Zelt," Claire stand ebenfalls auf und nickte den anderen zu, bevor sie ging.

"Okay. Bis später.", verabschiedete sich Julian freundlich von den beiden. Jetzt saßen er und Thomas nur noch zu zweit herum und es war wieder unangenehm.
Julian dachte fieberhaft darüber nach, was er denn sagen oder tun konnte, um es weniger unangenehm zu gestalten und die Spannung zu lösen.

"Ich geh dann auch mal, war anstrengend heute," Thomas streckte sich und gähnte herzhaft, bevor er aufstand.
"Nacht," meinte er noch uind ging zu seinem Zelt.

"Nacht.", meinte Julian ebenfalls und blieb aber noch sitzen. Das mit Thomas machte ihm zu schaffen, aber er wusste auch nicht was er noch machen sollte. Schließlich erhob er sich auch irgendwann und ging ins Zelt, wo Jason schon zu einem Ball zusammengerollt am schlafen war. Er legte sich zu ihm und schloss die Augen, nachdem er sich fertig gemacht hatte.

In der Nacht begann es wieder zu regnen, so daß die Wassersammler wieder aufgestellt wurden, damit das Regenwasser genutzt werden konnte. Auch Hope half mit, die Planen aufzustellen, wobei sie völlig durchnäßt wurde wie die anderen Jäger auch. Ein fernes Grollen kündigte ein Gewitter an, Blitze erhellten in der Ferne den Himmel, hier und da hörte man den Ruf eines aufgeschreckten Vogels, der wach geworden war.

Julian konnte auch diese Nacht kaum schlafen. Es war so laut mit dem Gewitter, er hatte das Gefühl seine Ohren würden gleich explodieren. Er lag wach und wälzte sich herum. In der Dunkelheit sah er Jason der wie ein Baby schlief und sich kaum rührte. Wie schaffte er das nur immer. Für Julian ergab das gar keinen Sinn. Er traute sich aber auch nicht raus. Bei dem Wetter im Wald. Wahrscheinlich war es besser im Zelt zu bleiben.

Am Morgen war das Gewitter verebbt, der Regen hatte aufgehört, aber es waren eine Menge Äste abgebrochen die nun am Waldrand lagen. Deswegen hieß es für die Neulinge nach dem Frühstück, daß sie sich aufteilten und die Äste wegräumten und passende davon als Lagerfeuergrundstoff vorbereiten sollten, welcher auf einem ordentlichen Haufen am Camprand aufgeschichtet wurde.

Julian verbrachte den Vormittag damit Holz aufzusammeln. Er war Hundemüde, aber er ignorierte das gekonnt und so lange er sich bewegte, ging das schon relativ klar. Er hatte schon oft mit Schlaflosigkeit zu kämpfen, auch wenn es im letzten Jahr alles besser geworden war und er zumindest keine großen Probleme beim Einschlafen mehr hatte. Normalerweise jedenfalls. Sie waren nach einigen Stunden mit der Arbeit fertig, da sie ja alle daran arbeiteten.

Als sie fertig waren, fing es wieder leicht an zu regnen, aber es war nur ein leichter Nieselregen, der durch die Blätter der bäume kam. Da es doch recht frisch noch war, holten sich die meisten Neulinge doch dünne Jacken aus ihren Zelten.
Einige beschwerten sich über das miese Wetter, aber zumindest die Jäger oder Hope hörten da nicht weiter drauf, bis das Gemurre doch lauter wurde und Hope sich umsah.
"Gut, kleine Ansage von mir. Es steht euch ab jetzt frei, das Camp und damit die Jäger zu verlassen. Wer schon bei so einem Wetter meckert, der hat bei uns nichts zu suchen. Wer gehen will, meldet sich bitte beim Trainer des Blockkurses."

Julian arbeitete unbeirrt weiter. Selbst wenn ihm kalt gewesen wäre, hätte er sich nicht beschwert. Es gab schlimmeres als ein bisschen Regen und Wind und nebenbei zwang er sich eh bei jedem Wetter raus zu gehen, um zu joggen oder im Garten zu arbeiten. Am Ende wars eine Frage der Einstellung und manche Leute hier schienen die Einstellung zu haben, dass sie nur das Minimum taten und wenn es ein bisschen ungemütlich wurde sich beschwerten. Julian wusste dass man damit bei den Jägern nicht weiterkam. Für Leute die sich grundlos beschwerten, hatten sie keine Toleranz. Das hatte er schon oft genug selbst erlebt. Deshalb bevorzugte er es den Mund zu halten und die Energie nicht darauf zu verschwenden.

Gegen mittag kam ein Jeep durch den Wald gefahren, mit dem scheinbar auch die anwesenden Jäger nicht gerechnet hatten, denn sowohl Hope als auch der Blockkurstrainer wirkten überrascht, noch mehr, als sie sahen, daß Eovyn herauskam und auf Flora zuging, diese beiseite nahm und in einem der Zelte mit ihr verschwand.
Kurze Zeit später kamen die beiden wieder und die Neulinge wurden auf dem Platz rund ums Lagerfeuer versammelt und die Jäger starteten eine Durchsuchung der Zelte. Keiner der Neulinge wurde in dieser Zeit auch nur in die Nähe seibnes Zeltes gelassen, was teilweise verunsicherte, verärgerte oder besorgte Reaktionen auslöste.

Sie machten kurz eine Pause, als Eovyn ankam. Julian wusste ja nicht, was die Jäger geplant hatten, aber scheinbar war was im Buch. Hope und ihr Trainer sahen beide verwirrt aus. Anstatt dass sie also zu Mittag aßen, wurden sie stattdessen durchsucht. Julian verstand nicht weshalb, aber er tat was ihm gesagt wurde und wartete ab. Keine Ahnung was sie suchten. Aber Julian hatte eigentlich nichts weiter dabei außer das was auf der Liste gestanden hatte. Einige andere sahen aber doch recht nervös aus.