Die Verblendung

Irgendwann war es auch Ann genug und sie kam aus dem Wasser, letztendlich war sie nur rund fünf Minuten länger als der Letzte der anderen. Sie schüttelte sich wie ein Nasser Hund, die schwarzen kurzen Haare klebten an ihrem Kopf wie ein Helm, was ihr Gesicht noch schmaler wirken ließ.
Zumindest sah man jetzt auch, daß sie nicht ganz su dürr war, wie sie in ihren Alltagsklamotten wirkte, da diese scheinbar immer ein oder zwei Größen mehr hatten.
Im Prinzip kannten nur diejenigen, die sie aus der Nähe gesehen hatten in Wettkämpfen ihre Figur, da die Kleidung dort eng anliegen mußte.
"Gut, ihr könnt euch hier ausruhen und aufwärmen, wir sind gleich wieder da," Flora verschwand mit dem Trainer der Blockler Richtung Camp.

Julian starrte Ann an. Er war definitiv auch nicht der einzige. Aber wie sie langsam aus dem Wasser kam, er konnte nicht anders. Er hatte sie zwar schon im Wettkampf gesehen, aber er und Nick saßen so ziemlich in der letzten Reihe und das war was anderes mit dem Wasser. Erneut gab er sich einen Ruck und wandte den Blick ab. Flora war gegangen und Julian stand auf und bewegte sich Richtung Sonne, damit er zumindest etwas antrocknete. Er rieb sich mit dem Handtuch trocken und legte es sich dann um den Hals und setzte sich auf einen Stein. Um ihn herum wurden Unterhaltungen laut. Manche hatten begonnen sich eine Wasserschlacht zu liefern. Julian schloss nur kurz die Augen und genoss die Sonne.

Nach zwanzig Minuzen war ein blechernes Scheppern zu hören und die beiden kamen vom Zeltlager zurück, hatten den Fässerwagen zweckentfremdet und einen Kessel daraufgehievt, in dem es aussah wie schon mal gegessen. Es waren die Getreidereste von gestern mit ein paar Trockendfrüchten und Wasser gemischt, so daß sie eine art Porridge bildeten, der allerdings nicht so aussah, wie man ihn gewohnt war.
Das Scheppern kam von dem Blechschüsseln und dem Besteck, was daneben lag.
"So, Essensteit," verkündete Flora fröhlich.
"Kommt, solange es noch warm ist, dann schmeckt es besser," versprach sie, auch wenn das Topfinnere nicht ganz danach aussah.

Julian hatte sich sein T-Shirt mittlerweile wieder übergezogen, weil sein Oberkörper trocken war. Und schon gab es Frühstück. Er hatte ziemlich Hunger vom Schwimmen und allem. Sein Magen hatte sich schon diverse Male gemeldet, aber damit musste er leben.
Flora hatte völlig untertrieben. Die Pampe schmeckte kaum nach was. Wenn man Glück hatte, biss man auf etwas, was süßlich schmeckte. Aber zumindest war es relativ sättigend. Jeder bekam eine Schüssel davon und es wurde schweigend gegessen.

Thomas beäugte seinen schüsselinhalt kurz, sagte aber n ichts und begann zu essen, genau wie die anderen.
"Können wir nachher nicht alle noch mal dahin, wo ihr dieses Getreide gefunden habt, dann könnten wir mehr sammeln und es lagern, dann müssen nicht jeden Tag die Gruppen dahin," schlug er dann vor und es herrschte kurzes Schweigen, als ob überlegt wurde, was man davon hielt.
"Okay, machen wir so," meinte der Blocktruppenleiter ohne eine Miene zu verziehen, Platz zum Lagern hatten sie ja mehr als genug.

Julian sah kurz von seiner Schüssel auf, als Thomas sprach. War ja irgendwo sinnvoll. Die meisten lagerten auf Vorrat. Hatten sie sicher früher auch so gemach, konnte er sich vorstellen. Und soweit er wusste wurde so Mehl ja auch nicht unbedingt schnell schlecht. Nach dem Essen halfen sie mit Aufräumen, damit das alles schneller ging. Und Wasser mussten sie ja auch noch holen gehen

Auf dem Weg zurück war nicht viel Gerede, entweeder waren die meisten noch damit beschäftigt, sich wieder aufzuwärmen oder das Essen hatte ihnen mehr oder weniger die Sprache verschlagen. Flora zockelte mit dem Wagen, der nun doch sehr leicht war, vorneweg, der Rest ging hintenan.
Das Wetter wurde wärmer und die Stimmung dadurch eben auch.
Als sioe zurück kamen, war ein Mann anwesend, der vorher und gestern noch nicht da war. Er war schon etwas älter und sah recht wettergerbt im Gesicht und an den armen aus, als wäre er mit Leder überzogen worden.
"Das ist der hier ortsansässige Förster, ihm gehört das gebiet hier und wir sind froh, daß wir hier Zelten dürfen," meinte der Blocktrainer.
"Er wird heute einen Teil der Gruppe mit in den Wald nehmen und ihnen dort einige Dinge erklären, worauf ihr zu achten habt, wenn es darum geht, euch abzusichern. Die anderen werden das machen, was ihr gestern gemacht habt, wenn ihr mit euren Teil fertig seid, dann werdet ihr den anderen helfen. Heute Nachmittag, wenn die Gruppe mit dem Förster wiederkommt, werden wir das machen, was Thomas vorgeschlagen hat," fügte er hinzu.

Sie liefen gemeinsam zurück und unterwegs trockete Julians Badehose zumindest schonmal an. Zurück im Camp erwartete sie jemand fremdes. Der Blocktrainer stellte ihn als den Förster hier vor. Julian wusste, dass Förster sich um Wälder kümmerten. Bei ihnen in der Nähe gab es auch einen.
Julian wäre gerne mit in den Wald. Allerdings war er sich auch sicher, dass sie da ebenfalls rotieren würden. Jeder würde am Ende sicher alles mitnehmen. Er konnte es nicht abwarten noch mehr zu lernen. Er war fasziniert davon wie viel Flora wusste und wie sie scheinbar aus dem Nichts mit essbaren Sachen ankam.

"Dort hinten findet ihr eine Leine, wo ihr euer Nasses Zeug und eure Handtücher zum Trocknen aufhängen könnt," Flora wies in die Richtung, in der man die Leine, die sehr lang war und zwischen mehreren Bäumen hing, schon sehen konnte.
"Wenn ihr alles aufgehängt habt, dann entscheidet, wer mit in den Wald geht. Heute machen wir es so, daß jeweils einer aus jedem Zelt mitgeht, damit wir wieder eine gerade Zahl haben," ordnete flora an und machte eine art kleine wedelnde Handbewegung, als ob sie die Truppe verscheuchen wollte.

Julian ging zurück zum Zelt, um sich umzuziehen. Er hatte schließlich noch seine halbnasse Badehose an. Als er fertig war, hängte er sowohl sein Handtuch als auch seine Badehose auf der Leine auf. Er war es nicht sonderlich gewohnt Hausarbeiten selbst zu erledigen. Auch wenn er sich in letzter Zeit mehr mit Kochen beschäftigte, aber Wäsche und so was, damit hatte er wenig am Hut. Trotzdem war es doch easy zunächst einmal. Er sprach sich mit Jason ab, welcher nichts dagegen hatte, wenn Julian zuerst in den Wald ging. Ihre Entscheidung war schnell getroffen.

Als alle zurück kamen, bildeten sich die Gruppen. Claire hatte sich mit zu den Leuten gesellt, die in den Wald wollten ebenso wie Sandra. Ann und Thomas waren bei den Leuten, die heute fürs Wasser und fürs Holz zustänsdig waren.
Der Förster führte sie ein Stückchen in den Wald und blieb vor einem Baum stehen, an dem deutliche Spuren zu sehen waren, ganze Rindenstücke waren lose und hingen nur noch da.
"Hier kann man schön sehen, wie stark die natur sein kann, das waren Hirsche gewesen, die Ende des Jahres in die Paarungszeit kommen. Wenn ihr in dieser Zeit einem dieser Tiere begegnet, dann ist äußerste Vorsicht angesagt, sie können sehr gefährlich werden, wenn sie sich gestört fühlen und das geht da recht schnell," erklärte er ihnen.

Julian lief neben Claire und hörte dem Förster fasziniert zu. Hirsche hatte er noch nie gesehen. Aber scheinbar kämpften sie hier. Die Spuren waren unglaublich tief. Julian wollte auf keinen Fall dazwischen kommen. Dann wäre er wohl pulverisiert worden. So etwas krasses gab es on der Natur. Es war nicht nur so, dass sie sich vor den Vampiren fürchten mussten, nein, auch in der Wildschniss musste einem klar sein, dass man jederzeit in Gefahr sein konnte. Das wurde Julian klar.

"Ich denke, wir werden in der Nähe von Wäldern sein, das wäre zumindest von Vorteil," meinte Claire fast wie zu sich selbst, während sie von dem Baum ein Foto machte. So wären zumindest Holzvorräte sicher, wenn es kalt sein würde oder wenn sie etwas zu essen bräuchten.
"Wenn ihr die Bäume hier ringsum kennt und wißt, was man mit ihnen machen kann, dann ist eure Überlebenschance sehr viel höher, als wenn ihr noch nie einen Wald gesehen habt. Kann mir jemand sagen, ob er hier einen Baum erkennt und was man damit machen kann," er sah sich in der Gruppe um und Sandra meldete sich.
"Da stehen Fichten, man kann davon die jungen Triebe essen, wenn man die Nadeln entfernt hat. Und aus den Nadeln kann man Tee machen, der im Winter bei Lungenentzündung ein bisschen helfen kann," meinte sie und der Förster nickte erfreut und sah die anderen an.
"Noch jemand einen anderen Baum?"

Julian sah rüber zu Claire. Es war scheinbar okay, dass sie Fotos machte. Schien jedenfalls niemanden zu stören. Und es passte zu ihr. Sie dokumentierte schließlich alles. Aber Julian machte sich auch wieder handschriftlich Notizen. Nur für den Fall.
Julian sah kurz zu Sandra. Entweder sie hatte vorher gelernt, oder sie kannte sich einfach aus. Es ware beides möglich gesehen. Er sah zu der Fichte und sah sich dann selbst genauer um.
"Ich glaube das ist eine Buche.", er zeigte auf einen der Bäume. So mehrere hatten sie auch im Garten.
"Mann kann die Früchte oder Nüsse essen, oder? Bucheckern. Habe sogar schonmal gehört, dass Leute früher daraus Kaffee gemacht haben.", meinte er.

"Im Frühjahr kann man auch die Blätter und Keimlinge essen, wenn man sie findet. Im Herbst dagegen nicht mehr, jetzt sind sie auch wenig nahrhaft, weil sie schon zu hart sind," ergänzte der förster und nickte Julian kurz zu.
"Mit bucheckernkaffee sollte man vorsichtig sein, ebenso, wenn man ihn aus Eicheln gewinnt. Die Früchte enthalten viele Säuren, die sich nicht unbedingt gut mit dem Magen vertragen," meinte Claire noch zusätzlich und sah kurz zu Julian.
"Da ist Getreifekaffee meistens bekömmlicher für einen, auch wenn er nicht ganz so schmeckt wie echter. Sagt unsere Biologielehrerin zumindest."

Julian nickte Claire und dem Förster zu. "Das wusste ich nicht. Danke.", sagte er und notierte sich alles schnell. Er kannte sich nicht allzu gut aus. Aber ein bisschen was wusste er dann doch.
"Glaub das da vorne ist ne Birke. Erkenne ich an der weißen Rinde. Keine Ahnung, was man aber damit machen kann. Und hingen wächst Ahorn. Daraus wird doch Syrup gewonnen.", machte Julian weiter. Mehr hatte er aber nun wirklich nicht erkannt.

"Birken sind immer gut, wenn man schnell ein Feuer entzünden möchte," der Förtster ging zu dem gezeigten Baum und kam mit etwss von der dünnen weißen Rindenschicht wieder.
"Wenn man die Rinde zu einem Ball formt, dann ist das wie ein Schnellanzünder, je trockener, desti besser," erklärte er ihnen und sah dann zum Ahorn.
"Ahorn wikt gut als Sud oder Tee, ist gut, wenn man bei Verletzungen Fieber hat, denn er senkt dieses und im besten Fall wirkt der Sud auch entzündungshemmend."

Julian schrieb alles mit. Zwar konnte er einige Bäume identifizieren, aber was diese brachten, wusste er nicht. Scheinbar erstaunlich viel. Alles hatte irgendwie einen Nutzen. Und mehr als er gedacht hatte.
Besonders Ahorn schien wirklich eine Heilpflanze zu sein. Julian kannte sie nur wegen Sirup.

"Gut, soviel von den Bäumen," der Förster füherw sie ein Stück weiter in den Wald hinein und wies auf eine Wiese.
"Dort haben wir ein ganzes Notvorratsangebot, ein Menü a la carte," er wies auf eine Wiese vor ihnen.
"Dotterblumen, Löwenzahn, Spitzwegerich, Bärlauch. Liefert erstmal nicht viel, was satt macht, aber der Magen hat was zu tun und im besten Falle findet man bis zur nächsten Hungerphase dann etwas Besseres," erklärte der Mann weiter, während er einzelne Pflanzen abpflückte und sie ihnen hinhielt.

Sie gingen weiter zu einer sattgrünen Wiese. Sie befanden sich auf einer Art von Lichtung. Es war wirklich wunderschön hier. Leider blühte nichts mehr, aber überall waren scheinbar Kräuter. Erneut machte sich Julian Notizen. Einige der Kräuter kannte er schon durch die Theorie, andere waren ihm neu. Diese versuchte er sich einzuprägen. Eine Kamera hatte er schließlich nicht.

Spitzwegeriochtee hat mir meine Mum immer gemacht, wenn ich Husten hatte, wirr hatten das bei uns überall zu wachsen," meldete sich ein Junge aus dem Blockteam, einige andere nickten unter anderem auch Claire.
"Aus Bärlauch kann man auch n Gewürz machen, ist wie Knoblauch, man stinkt dann aber nicht so. Wenn man an dem Tag noch n Date hat, ist das besser," meinte ein Mödchen und einige andere grinsten oder lachten leise auf.

Julian sah kurz zu Sandra rüber, als das Wort Date fiel, aber er sah schnell wieder weg. Hoffentlich hatte das niemand gemerkt. Er notierte sich wieder, was gesagt wurde. Spitzwegerichtee, den kannte er auch. Bärlauch daraus machten sie manchmal Pesto. Der schien hier überall zu wachsen wie Unkraut.

"Falls einer von euch mal irgendwo gelesen oder gehört haben sollte, daß man bei starkem Hunger auch verschiedene Moose essen kann, dem rate ich, darauf zu verzichten, auch wenn man sie und andere Flechten das ganze Jahr üver findet," erklärte der Mann weiter. Man sah überall, wovom er redete, an den Bäumen und am Boden waren teils trockene, teils sehr saftig grüne Moosflächen zu sehen.
"Zumeist ist Moos für den menschlichen Magen nicht sonderlich genießbar, nicht giftig vielleicht, aber abzuraten wäre da immer drin," fügte er hinzu.
Dann begann er bei einer kleinen Baumgruppe nicht weit entfernt von ihnen nach etwas zu graben und hielt ihnen ein paar Wurzeln hin, die dick und fleischig aussahen.
"Wenn ihr die schält und über einem Feuer röstet, dann könnt ihr die aber ohne Sorge essen, da diese mehrere Meter lang werden können, macht es auch wenig Probleme, soe zu finden. Ihr müßt nur auf die Bescghaffenheit der Rinde avhten, dann könnt ihr sie gar nicht verwechseln."

Julian und die anderen liefen dem Förster weiter hinterher, während er ihnen zeigte, was alles essbar war und was nicht. Unter anderem konnte man scheinbar Wurzeln von Bäumen essen. Das hatte er auch nicht gewusst. Außerdem kein Moos. Julian notierte sich alles weiterhin. Irgendwann würde er das brauchen, da war er sich ziemlich sicher. Der Wald hatte mehr zu bieten als er gedacht hätte was man theoretisch essen konnte. Er würde also zumindest im Frühjahr Sommer und Herbst nicht sterben wenn er wusste, wo er was finden konnte. So etwas lernten sie zumindest in dem Detail nicht in der Schule. Wäre aber nützlich gewesen..

Sie kamen zurück zu dem Platz, an dem die Zelte aufgebaut waren. Es hatte doch gut zwei Stunden gedauert, bis der Gang mit dem Förster soweit durch war. Allerdings zeigte er ihnen noch an einem kleineren Haufen Holz, auf dem auch die Birkenrinde lag, wie man ohne Streichhölzer Feuer machen konnte und ließ es auch alle ausprobieren.