Die Verblendung

"Schon gut. Ich weiß ja." Julian sah ihm hinterher. Er gab sich Mühe kein Problem mit Kim zu haben, aber die Art des Vampirs war ihm etwas suspekt. Man konnte ihn nicht einschätzen einfach. Aber Julian hatte schon verstanden. So kam er auch nicht weiter. Das war auch nicht die sinnvolle Beschäftigung, von der der Graf gesprochen hatte, da war er sich sicher.
Claire würde ihn sicher abhängen. Er seufzte leise. Er wusste nicht, wann er angefangen hatte sich mit den Vampiren zu vergleichen. Dabei hatte er sie früher so gehasst und jetzt war er neidisch?! Das war doch bescheuert. Er griff nach einem Buch. Er musste die Situation eben so akzeptieren, wie sie war.

Kim verlor kein weiteres Wort über die Sache, auch wenn einige der Vampire, die im Wald waren, ihn komisch ansahen. Immerhin hatten sie das Gespräch mitbekommen, also wäre es definitiv den Grafen zu Gehör gekommen, wenn Kim sich hätte breitschlagen lassen.
Aber das sah Julian nicht so, wie es aussah, Regeln warwen für ihn auch nur dann gut, wenn man sie irgendwie für sich nutzen konnte scheinbar und Autoritäten zählten für ihn ja eh nicht, das hatte man schon am Umgang mit seinem Onkel gesehen.

Julian dachte viel nach. Darüber hinaus ließ er sich die Sticheleien der Wachen gefallen. Das hatte er auch verdient. War ja auch bescheuert.
Er war sich sicher, dass er irgendwo falsch abgebogen war. Irgendwas war schiefgelaufen, mit seinem Onkel, mit Kim, mit Claire mit ihm generell. Er hatte das Gefühl er hatte sich selbst verloren irgendwo. Wie sinnlos war es bitte sich für so etwas wie das eigene Ego opfern zu wollen, vor allem wenn es niemand von jemandem verlangte. Das war die Schuld der Jäger, die hatten ihm mit diesen komischen Ideen indoktriniert. Das Perverse war, dass ihm Gewalt nicht einmal mehr komisch vorkam. Er wollte sich schlagen. Kim hatte ihn von Anfang an halt durchschaut. Er genoss es die Macht zu haben, er wollte dominant sein. Alles andere war nur Gelaber, mit dem er versuchte sich zu rechtfertigen, aber wenn man alles zurückschälte, blieb nur das übrig. Er wollte sich beweisen, indem er sich prügelte.
Und was brachte das?
Selbst sein Onkel wusste das. Und er sagte er ihm seit Jahren. Wie sinnlos das alles war. Und nicht mal Nora war daran schuld. Weil den Impuls hatte er von Anfang an. Deshalb hatte er ja überhaupt bei den Jägern angefangen.
Und ohne das, was blieb da schon übrig?
Das wusste Julian nicht.

Der Herbst war schon fortgeschritten, noch immer wußte man nicht, was Noah trieb und ob er überhaupt der Lilie in irgend einer Weise nahegekommen war. Der Graf konnte darauf auch erst einmal nicht hoffen, da er andere Sachen zu tun hatte.
Unter anderem hatte er damit begonnen, den Jägern das ganze Unterfangen, was Nora losgetreten hatte, zu erschweren, da er einfach in gewisser Weise zurück schlug und die Jäger festsetzen ließ, die gegen seine Vampire geschickt wurden. Genau wie Nora früher hatte er es geschafft, daß sich Vampire weltweit im Untergrund sammelten und die Aktionen der Jäger boykottierten, wo es sich anbot. Die Wachen im Wald feierten ihren Herrn natürlich dafür und hofften auch ,csß dies irgend was bringen würde.

Noah traf vor einem Hotel auf Gabriel. Er hätte den Mann fast gar nicht wiedererkannt. Er trug einen Nadelstreifenanzug und hatte wohl auch ordentlich abgenommen und seine graumelierten Haare waren kürzer und ordentlich zur Seite gekemmt. Generell sah er ordentlich aus. Er drückte seine Zigarette aus, als er Noah sah und winkte ihn zu sich. "Hierher. Schön dich zu sehen. Gut dass dus geschafft hast." er klopfte Noah auf den Rücken. Der Geruch von Zigaretten und Parfüm kam ihm entgegen.
"Auch schön dich zu sehen. Siehst gut aus." Gabriel winkte ab.
"Ja ja. Lass uns reingehen." Noah folgte ihm ins Innere des Hotels. Ein Page kam ihnen entgegen und nahm Noah seinen Trenchcoat ab. Gabriel winkte ihn weiter zu sich. "Hier entlang, Herr Aramian." Gabriels Schritte halten über den feinen Marmorboden, während Noah kein Geräusch von sich gab. Stattdessen sah er sich um. Er war sehr lange nicht mehr an so einem Ort gewesen. Und von Gabriel hätte er etwas ähnliches erwartet. Sie fuhren mit dem Aufzug herunter und kamen in einen Barbereich, der komplett ausgestorben war.
"Lord Beauford." der Barkeeper nickte Gabriel zu und dann verschwand er. Und Gabriel verschwand hinter der Bar.
"Chardonnay? Nein warte, du trinkst Rottwein. Ich habe gesehen, wie du mit dem Chateau gelienäugelt hast. Sollst du kriegen." Gabriel schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und griff nach einem bauchigen Weinglass. Er hielt die Flasche so, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Er sah Noahs Blick wohl.
" Ich habe ne Weile als Barkeeper gearbeitet in Soho. Hab mir mein Studium damit finanziert." nuschelte er und stellte das Weinglas auf der Theke stehen.
"Nicht sofort trinken.", meinte er noch ehe, er sich die Zigarette ansteckte und sich wieder neben Noah setzte.

Kim hatte, wie er Julian schon gesagt hatte, nicht weiter vor, zu trainieren, dafür brauchte ihn Finn auch zu sehr. Da sie es geschafft hatten, einen der gefangenen Jäger zum Reden zu bringen, konnte Finn mit der Hilfe von Simon einige der Mittel der Jäger herstellen, um diese dann an Kim zu testen.
War für den alles andere als angenehm, aber auch er war darauf aus, daß der Graf gut aus der ganzen Sache rauskam, immerhin hing das Überleben aller Vampire davon ab. Zumindest glaubten das alle, ob Finn wirklich der Schlüssel zur kompletten Ausrottung war, wußte natürlich niemand, immerhin konnte es ja kaum jemand wirklich ausprobieren.

Noah trank einen Schluck Wein und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen.
"Trinkst du denn gar nichts?", fragte er Gabriel. Dieser schüttelte den Kopf. "Das ist mein einziges Laster." er deutete auf die Zigarette.
Sie schwiegen eine Weile. "Du siehst ihm sehr ähnlich.", sagte Noah schließlich. Er musterte Gabriel von der Seite. "Jeff, meine ich."
Gabriel schnaubte. "Ich habe ja auch seine beschissenen Gene, also kein Wunder." er zog an seiner Zigarette. "Weißt du, ich beneide dich, du hast alles, was ich nicht hab. Eine Familie, Freunde, die dich schätzen, selbst der Alte, denkt sicherlich nicht so übel von dir, wie du denkst. Aber ich habe etwas realisiert. Bevor ich krepiere, ist es meine Bestimmung dich dabei zu unterstützen diese Mistkerle von der Lilie fertigzumachen. Ich habe noch eine Rechnung mit ihnen offen." er grinste grimmig. "Na ja, und zumindest an finanziellen Mitteln mangelt es nicht." Noah konnte das Feuer in Gabriels Augen sehen. Vorher hatte er wie ein halber toter gewirkt, wie ein Hund, den man herausgejagt hatte und jetzt war er wieder auferstanden, so schien es. "Das und eine andere Sache. Aber dazu komme ich später.", er drückte seine Zigarette aus. "Aber nicht so, du brauchst dringend ein Makeover. Ich kenne Bella, sie wird sich nicht so leicht täuschen lassen." er schob Noah einen Schlüssel zu. "Kannst heute Nacht hier pennen. Ich hol dich morgen um 9 Uhr hier ab. Bis dahin, wünsche ich dir noch einen angenehmen Abend." er stand auf und verließ den Raum. Noah seufzte leise und trank noch einen Schluck Wein.

Es wurde gemunkelt, daß Claire nicht mehr zu den Jägern durfte, seitdem es ein paar neue in die Kerker des Grafen geschafft hatten. "Vielleicht hat sie mit denen kooperiert und es ist rausgekommen," war nur eine Vermutung, immerhin war Claire noch immer sehr empathisch und somit in Gefahr, sich bequatschen zu lassen.
Wenigstens waren die Wachen da ziemlich sicher, auch wenn sie nichts Böses über die junge Frau denken wollten. Sie war auch zu ihnen nett gewesen und hatte immer offen und ehrlich gewirkt.

Noah trank auch noch den Rest des Glases leer und hinterließ dann etwas Trinkgeld. Er wusste Gabriel hatte alles bezahlt, aber ganz wohl fühlte er sich damit eben nicht.
Oben auf dem Zimmer angekommen, setzte er sich auf das weiche Bett und sah sich noch eine Weile um. Das Bett auf dem er saß hatte eine ganz merkwürdige runde Form, in der Ecke stand ein kleiner orangener Sessel, gegenüber an der Wand ein Flachbildschirm. Er schaltete den Fernseher an und stand auf, um zu duschen. Morgen wollte er schließlich frisch sein.
Zu gerne hätte er noch seine Familie irgendwie kontaktiert. Aber es war einfach zu riskant. Außerdem drang zu dem Grafen sowieso so gut wie nichts durch.

Die Sicherheitsmaßnahmen in der Festung wurden nochmals verstärkt, den Leuten, mit denen außenstehende in irgend einer Weise Kontakt hatten, wurde strengstens untersagt, etwas von den Vorgängen dort oben zu erwähnen.
So konnte auch nichts an Julian weitergeleitet werden, auch wenn es so etwas wie Bruefe gewesen wären, wären diese sofort abgefangen worden.